Das Wichtigste in Kürze
✓ Scopolamin ist ein stark wirksames Alkaloid aus Nachtschattengewächsen wie Stechapfel oder Engelstrompete – es kann Halluzinationen, Gedächtnisstörungen und Desorientierung auslösen.
✓ In niedriger Dosierung wirkt Scopolamin medizinisch nützlich: z. B. gegen Reiseübelkeit, bei Krämpfen oder experimentell in der Depressionsbehandlung.
✓ Der Mythos vom „Devil’s Breath“ – also der vollständigen Willenlosigkeit nach kurzem Inhalieren – ist stark übertrieben. Eine gezielte kriminelle Verwendung ist möglich, aber selten und schwer kontrollierbar.
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Was ist Scopolamin?
Scopolamin ist ein natürlich vorkommendes Tropan-Alkaloid, das in verschiedenen Nachtschattengewächsen enthalten ist – etwa in Stechapfel (Datura), Engelstrompete (Brugmansia), Bilsenkraut, Tollkirsche oder Alraune.
Pharmakologisch wirkt Scopolamin als Antagonist der muskarinischen Acetylcholinrezeptoren. Dieser Rezeptor wurde übrigens nach den Fliegenpilz (amanita muscaria) benannt, da dieser auch auf diesen Rezeptor wirkt. Es blockiert also die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin, was unterschiedliche Wirkungen hervorruft. Die Bandbreite reicht von beruhigender, krampflösender Wirkung in niedriger Dosierung bis hin zu Halluzinationen, Gedächtnisverlust und Desorientierung in hoher Dosis.
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Wie kann Scopolamin in der Medizin eingesetzt werden?
Bereits der griechische Arzt Dioskurides beschrieb im 1. Jahrhundert die Wirkung von Bilsenkraut. Im Mittelalter fand sich Scopolamin-haltiger Pflanzenrauch in der Volksmedizin – z. B. zur Schmerzlinderung. Im 20. Jahrhundert wurde Scopolamin in Kombination mit Morphin zur sogenannten „Dämmerschlafnarkose“ bei Geburten eingesetzt.
Heute kommt Scopolamin u. a. in Pflastern gegen Reiseübelkeit zum Einsatz. Scopolamin wird dabei langsam über die Haut freigesetzt und es kommt nicht zu einem halluzinogenen Rausch. Auch das bekannte Medikament Buscopan® basiert auf einer abgewandelten Form (Butylscopolamin), die nicht ins Gehirn gelangt und daher nicht psychoaktiv wirkt. In der klinischen Forschung wird Scopolamin zudem als schnell wirksames Antidepressivum getestet – mit ersten positiven, aber noch nicht breit validierten Ergebnissen.
Welche Risiken bringt Scopolamin mit sich?
In hohen Dosen kann Scopolamin einen anticholinergen Rauschzustand auslösen: mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen, motorischer Unruhe und kompletter Amnesie. Die Wirkung wird jedoch nicht als angenehm beschrieben: Betroffene sind orientierungslos, ängstlich und wirken „fremdgesteuert“. Daher wurde Scopolamin auch nie als klassische Rauschdroge populär.
Trotzdem taucht es im Kontext von K.-o.-Delikten und Kriminalität immer wieder auf – besonders in Kolumbien unter dem Namen „Devil’s Breath“. Das beschreibt die Idee, dass Scopolamin-Pulver jemanden ins Gesicht geblasen wird, der daraufhin willenlos und damit ein leichtes Opfer wird. Wissenschaftlich ist dieses Szenario überzeichnet. Zwar kann Scopolamin bei oraler Aufnahme in hoher Dosis zu Kontrollverlust führen, aber die „Anhauch-Version“ ist pharmakologisch unwahrscheinlich, da einfach nicht genug Wirkstoff an die Schleimhäute kommt . Trotzdem sind Fälle dokumentiert, in denen Scopolamin zur Manipulation oder Enthemmung verwendet wurden, allerdings eher als Beimischung in Getränke.
Ist Scopolamin eine Wahrheitsdroge?
Im 20. Jahrhundert wurde Scopolamin in den USA als sogenanntes „Truth Serum“ erprobt – etwa im Rahmen von Verhören oder geheimdienstlichen Experimenten. Auch das CIA-Projekt MKULTRA testete Scopolamin neben LSD und anderen Substanzen. Doch die Hoffnung, unter Drogeneinfluss verlässliche Wahrheiten zu erfahren, erfüllte sich nicht. Stattdessen kam es zu konfabulierten Aussagen, falschen Erinnerungen und nicht reproduzierbaren Ergebnissen. Der Mythos der Wahrheitsdroge blieb zwar hängen, doch eine tatsächliche Wahrheitsdroge wurde bis jetzt nicht gefunden werden.
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Quellen für Podcastfolge und Blogartikel:
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