Home » Psychoaktives Magazin » Psychoaktive Stoffe » Nitazene: Ein Überblick über die neuen synthetischen Opioide

Das wichtigste in Kürze

✓ Nitazene wurden in den 1950er-Jahren entwickelt, aber nie als Medikamente zugelassen, da ihr therapeutisches Fenster zu eng ist und Überdosierungen leicht auftreten können.

✓ Sie wirken wie andere Opioide am µ-Opioid-Rezeptor. In Laborstudien zeigen manche Vertreter extreme Potenzen, die sich jedoch nicht direkt auf den Menschen übertragen lassen – in der Praxis reicht das Spektrum von schwächer als Morphin bis deutlich stärker.

✓ Besonders riskant sind ihre Unberechenbarkeit, die verlängerte Wirkung durch aktive Metaboliten sowie die Tatsache, dass viele Nitazene in Standard-Drogentests nicht erfasst werden.

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Inhalt


Was sind Nitazene?

Nitazene gehören zur Gruppe der vollsynthetischen Opioide. Sie wurden bereits in den 1950er-Jahren entwickelt, allerdings nie als Medikamente zugelassen. Der Grund dafür ist ihr extrem enges therapeutisches Fenster: Schon kleine Abweichungen in der Dosierung führen dazu, dass die Substanzen toxisch wirken können. Anders als Fentanyl oder Morphin haben Nitazene deshalb nie den Weg in die reguläre Schmerztherapie gefunden.

Obwohl jahrzehntelang kaum beachtet, tauchen Nitazene seit 2019 zunehmend auf dem Schwarz- und Graumarkt auf. Sie werden als Pulver, Tabletten, Nasentropfen oder Vape-Liquids verkauft und erscheinen häufig in Research-Chemical-Shops, die mit vermeintlicher „Legalität“ werben. Besonders gefährlich sind gefälschte Benzodiazepin-Tabletten oder Oxycodon-Imitate, die mit Nitazenen gestreckt sind. Wer solche Präparate konsumiert, rechnet oft nicht mit einem Opioid – gerade für Menschen ohne Opioidtoleranz kann das tödlich enden.


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Wie wirken Nitazene?

Nitazene binden wie andere Opioide primär an den µ-Opioid-Rezeptor und entfalten dort eine starke schmerzdämpfende, sedierende und euphorisierende Wirkung. In Laborstudien (in vitro) zeigten manche Nitazene eine enorme Potenz. So gilt Isotonitazen in Zell- und Tiermodellen als mehr als 100-mal stärker als Morphin. Solche Ergebnisse lassen sich jedoch nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen, weil Stoffwechsel, Verteilung im Körper und Abbauprodukte im Labor nur unvollständig abgebildet werden. In der klinisch-praktischen Einschätzung zeigt sich daher ein breiteres Bild: Metonitazen wird etwa zehnmal stärker als Morphin eingeschätzt, während Clonitazen sogar schwächer wirkt. Gerade diese Diskrepanz zwischen Laborwerten und realer Wirkung macht die Stoffgruppe so schwer einschätzbar und erhöht die Risiken für Konsumierende.

Ein zusätzliches Risiko besteht darin, dass manche Nitazene im Körper zu aktiveren Metaboliten umgewandelt werden. Isotonitazen etwa wird zu N-Desethyl-Isotonitazen verstoffwechselt, das noch potenter wirkt und die Dauer der Wirkung verlängern kann. Das erschwert auch die Behandlung von Überdosierungen, weil Naloxon oft mehrfach oder als Infusion gegeben werden muss.


Zur Orientierung ist dies eine Tabelle um Potenzunterschiede zwischen Opioiden besser zu verstehen. Sie stammt aus meinem Buch “Drogen und ihre Wirkung”

Welche Risiken sind mit Nitazenen verbunden?

Die größte Gefahr liegt in der Unberechenbarkeit. Je nach Substanz und Dosierung reicht das Spektrum von relativ schwach bis extrem stark wirksam. Konsumierende können nie sicher sein, was sie tatsächlich einnehmen. Da Nitazene zudem auf gängigen Drogenschnelltests nicht zuverlässig nachweisbar sind, wird eine Intoxikation häufig übersehen. Zwar existieren inzwischen Teststreifen speziell für Nitazene, doch auch diese erfassen längst nicht alle Varianten.

Neben typischen Opioidwirkungen wie Schmerzlinderung, Entspannung und Euphorie treten auch klassische Nebenwirkungen auf: Übelkeit, Schwindel, Verstopfung, Hautausschläge oder sexuelle Funktionsstörungen. Besonders gefährlich ist die Atemdepression, die durch Mischkonsum mit Alkohol oder Benzodiazepinen erheblich verstärkt werden kann. Außerdem kann es zu einer Abhängigkeitsentwicklung kommen.


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Quellen für Artikel und Podcastfolge

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Bundesministerium für Gesundheit. (2025). Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen (RaFT) – Abschlussbericht (Stand: März 2025). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Abschlussbericht/Abschlussbericht_RaFT_bf.pdf 32299_en

European Union Drugs Agency. (2025). Heroin and other opioids – the current situation in Europe. In European Drug Report 2025. https://www.euda.europa.eu/publications/european-drug-report/2025_en 32299_en

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Kelly, E., Sutcliffe, K., Cavallo, D., Ramos-Gonzalez, N., Alhosan, N., & Henderson, G. (2022). The anomalous pharmacology of fentanyl. British Journal of Pharmacology, 179(13), 3269–3289. https://doi.org/10.1111/bph.15573

Stangeland, M., Dale, O., & Skulberg, A. K. (2025). Nitazenes: Review of comparative pharmacology and antagonist action. Clinical Toxicology, 63(6), 393–406. https://doi.org/10.1080/15563650.2025.2504133

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