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Das Wichtigste in Kürze

✓ Das Rückfallmodell nach Marlatt & Gordon zeigt: Rückfälle entstehen nicht plötzlich, sondern sind ein Prozess mit vielen kleinen Schritten.

✓ Scheinbar irrelevante Entscheidungen (z. B. alte Bekannte besuchen) können unbewusst den Weg in eine Risikosituation ebnen.

✓ Ein Rückfall bedeutet kein Scheitern, sondern bietet die Chance, aus den Auslösern zu lernen und Strategien zu stärken.

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Inhalt


Theoretischer Einstieg: Das Rückfallmodells nach Marlatt und Gordon

Das Rückfallmodell von Alan Marlatt und Judith Gordon (1985) gehört zu den bekanntesten kognitiv-behavioralen Ansätzen der Rückfallprävention. Es geht davon aus, dass ein Rückfall nicht als plötzliches „Versagen“ verstanden werden sollte, sondern als ein Prozess, der sich in mehreren Schritten entwickelt. Diese Sichtweise war damals ein Paradigmenwechsel, weil sie die moralische Bewertung von Rückfällen („Willensschwäche“) zurückwies und stattdessen konkrete psychologische Mechanismen beschrieb.

Im Zentrum des Modells steht die Idee, dass ein Rückfall das Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen individuellen Faktoren (z. B. Stimmung, Selbstwirksamkeit, Stress), kognitiven Prozessen (z. B. Rationalisierungen, Entscheidungsfindungen) und situativen Auslösern ist. Ein einzelner Konsumakt wird dabei nicht als spontanes Ereignis verstanden, sondern als Konsequenz einer Kette von Entscheidungen, Gedanken und Gefühlen.

Marlatt & Gordon unterscheiden zwischen scheinbar irrelevanten Entscheidungen, die Betroffene zunächst nicht mit Konsum in Verbindung bringen (z. B. alte Bekannte besuchen), und hochriskanten Situationen, in denen der Substanzkonsum plötzlich wieder greifbar wird (z. B. das Vorhandensein von Kokain in einer sozialen Runde). Fehlen in diesen Momenten Bewältigungsstrategien und wird die Selbstwirksamkeit als gering erlebt, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall deutlich an.

Damit verlagert das Modell den Fokus von der bloßen Vermeidung von Substanzen auf die Reflexion von Entscheidungen, Risikosituationen und Bewältigungsstrategien. Ein Rückfall ist somit nicht nur das „Ende“ einer Abstinenz, sondern kann auch als Lernchance verstanden werden, um zukünftige Risikosituationen besser zu bewältigen.

In diesem Artikel gibt es sowohl eine Abbildung zum Rückfallmodell, als auch ein Praxisbeispiel.


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Abbildung: Rückfallmodell nach Marlatt und Gordon


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Praxisbeispiel für das Rückfallmodell nach Marlatt und Gordon

Um sich den Vorgang besser vorstellen zu können, möchte ich das komplette Modell gerne in ein Praxisbeispiel gießen. Mike hat eine Abhängigkeitserkrankung. Diese Diagnose wurde ihm im Rahmen der Entgiftung von Kokain gestellt. Gleich im Anschluss hat er eine stationäre Rehabilitationsbehandlung wahrgenommen und in dieser einen klaren Abstinenzentschluss gefasst. Er möchte nie wieder Kokain nehmen! (Damit ist die Voraussetzung gegeben)

Nach der stationären Rehabilitation geht für Mike wieder der Alltag los. Er geht zurück zu seinem alten Arbeitgeber und auch in seine alte Wohnung. Für ihn fühlt es sich etwas so an, als wäre er in einer Art Maschinerie des Alltags gefangen. Aufstehen, arbeiten, Abendessen, schlafen. Er vermisst die Gruppe und den Zusammenhalt aus der Reha. Er hat den Großteil seiner Freunde verloren, weil er einsehen musste, dass der Kleber der Freundschaft maßgeblich das Kokain war. Ohne den Konsum fehlte es irgendwie an Gesprächen. Deswegen ist er auch an den Wochenenden häufig alleine und er wartet fast schon auf die Woche, um wieder etwas zu tun zu haben, auch wenn dies wieder das gleichschrittige “Get Up, Work, Eat, Sleep, Repeat” ist. (Unausgewogener Lebensstil Sollen > Wollen)

Ihn nervt seine Situation. In der Reha hat er sich so viel vorgenommen, sich sein nüchternes Leben ausgemalt. Das sah allerdings deutlich anders aus als seine jetzige Situation (Wunsch nach Befriedigung), und gerade an den Wochenenden denkt er immer öfter mal an frühere Partys mit seinen Freunden nach. Wie sich alle immer bei Nina vorher für den Rave fertig gemacht haben, die ersten Nasen gezogen haben und wirklich viel Spaß hatten (Verlangen, Suchtdruck). Aber das war früher! Das war der alte Mike!

Was wohl Nina gerade macht? Es ist Freitag, normalerweise gehen alle ja immer erst am Samstag feiern. Mike überlegt, einfach mal bei ihr vorbeizuschauen. Vielleicht etwas über die alten Zeiten sprechen. (Entscheidung ohne die Risikosituation zu reflektieren)

Nina freut sich, von Mike zu hören, und lädt ihn zu sich ein. Er macht sich also Freitagabend auf den Weg zu ihr. Als er in die Wohnung kommt, wird er von Nina freudig empfangen. Sie haben sich auch schon sehr lange nicht gesehen. Zwei weitere Freunde, die Mike von früher kennt, sind auch da. Nina strahlt: “Wir haben spontan Bescheid bekommen, dass heute ein Secret Rave stattfindet, in einem Wald – ist das nicht cool?” Nina bietet ihm ein Bier an, das er erst einmal ablehnt. Okay, die Situation ist anders als er dachte. Eigentlich wollte er nur mit Nina einen kleinen Schwatz halten, schauen, was in ihrem Leben so geht. Aber nun gut, jetzt ist es eben so. Auf den Rave geht er aber nicht mit. So kann er mit den anderen auch ein wenig sprechen und in einer Stunde oder so geht er. (Persönliche Risikosituation)

Alle sitzen um den Tisch und sprechen tatsächlich über alte Zeiten. Mike spricht über seinen Job, über seinen Alltag. Über seine Behandlung möchte er nicht wirklich sprechen, auch wenn die anderen ihn fragen, wo er so lange geblieben ist. Ninas Handy vibriert, sie schaut auf das Display und grinst. “Das Kokstaxi ist da, bin gleich wieder da.”

Mike stockt der Atem. Was nun? Er fängt an zu schwitzen, er wird nervös, sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, sein Atem wird flacher. Gleich kommt Nina mit dem Koks hoch. Gleich wird auf dem Glastisch wie früher wieder die Lines aufgehackt. Gleich hat er die Möglichkeit, den Alltagstrott ein Mal loszulassen. Er kann ja nur eine kleine Line ziehen und trotzdem nach einer Stunde gehen. Das ist ein guter Deal. Diese eine Line ändert gar nichts. Nur ein bisschen geborgtes Wohlgefühl. Ein Mal wieder kurz frei fühlen und die Langeweile aus dem Kopf blasen. (Keine Bewältigungsstrategie [in diesem Fall: die Situation verlassen!] verfügbar)

Nina kommt wieder hoch und wedelt lächelnd mit dem Kokaintütchen. “Drei Gramm Leute, das wird ein schönes Wochenende.” Sie desinfiziert den Glastisch, hackt das Kokain sauber auf, nimmt ihren Ziehblock aus der Schublade und gibt jedem ein frisches Blatt. “Mike, du auch?” Der Drops ist gelutscht. Mike sieht das Kokain, ihm steht der Schweiß auf der Stirn, die Gier ist fast überwältigend. Keine Chance, dass er sich noch umentscheidet. Nur eine Line, dann ist dieses Verlangen weg! (Verringerte Selbstwirksamkeit & positive Erwartung an den Konsum) Er nimmt das Blatt von Nina, rollt es zusammen und zieht die erste Line. (Einnahme der Droge)

Was für ein Gefühl. Mike fühlt sich, als könnte er das erste Mal seit Wochen wieder tief durchatmen. Der Stress fällt von ihm ab, er fühlt sich gut. Die Gespräche mit den anderen verändern sich. Sie werden schneller, lustiger, aufgeregter. (Kurzfristige Entlastung setzt ein)

Mit der zweiten Line greift Mike zum Bier. Ein bisschen Gegengewicht zum Kokain wäre schon gut. Mit der dritten Line beschließt er, noch ein bisschen länger zu bleiben. Mit der vierten Line haben ihn die anderen überredet, doch noch mit zum Rave zu gehen. Ein Mal einfach loslassen. Das wäre gut. (Fortsetzung des Konsums)

Nach der stationären Rehabilitation geht für Mike wieder der Alltag los. Er geht zurück zu seinem alten Arbeitgeber und auch in seine alte Wohnung. Für ihn fühlt es sich etwas so an, als wäre in einer Art Maschinerie des Alltags gefangen. Aufstehen, arbeiten, Abendessen, schlafen. Er vermisst die Gruppe und den Zusammenhalt aus der Reha. Er hat den Großteil seiner Freunde verloren, weil er einsehen musste, dass der Kleber der Freundschaft maßgeblich das Kokain war. Ohne den Konsum fehlte es irgendwie an Gesprächen. Deswegen ist er auch an den Wochenenden häufig alleine und er wartet fast schon auf die Woche um wieder etwas zu tun zu haben, auch wenn dies wieder das gleichschrittige “Get Up, Work, Eat, Sleep Repeat” ist. (Unausgewogener Lebensstil Sollen > Wollen)

Ihn nervt seine Situation. Auf der Reha hat er sich so viel vorgenommen, sich sein nüchternes Leben ausgemalt. Das sah allerdings deutlich anders aus, als seine jetzige Situation (Wunsch nach Befriedigung) und gerade an den Wochenende denkt er immer öfter mal an frühere Partys mit seinen Freunden nach. Wie sich alle immer bei Nina vorher für den Rave fertig gemacht haben. Die ersten Nasen gezogen haben und wirklich viel Spaß hatten (Verlangen, Suchtdruck). Aber das war früher! Das war der alte Mike!

Was wohl Nina gerade macht? Es ist Freitag, normalerweise gehen alle ja immer erst am Samstag feiern. Mike überlegt einfach mal bei ihr vorbeizuschauen. Vielleicht etwas über die alten Zeiten sprechen. (Entscheidung ohne die Risikosituation zu reflektieren)

Nina freut sich von Mike zu hören und lädt ihn zu sich ein. Er macht sich also Freitag Abend auf den Weg zu ihr. Als er in die Wohnung kommt wird er von Nina freudig empfangen. Sie haben sich auch schon sehr lange nicht gesehen. Zwei weitere Freunde, die Mike von früher kennt, sind auch da. Nina strahlt “Wir haben spontan Bescheid bekommen, dass heute ein Secret Rave stattfindet, in einem Wald – ist das nicht cool?”. Nina bietet ihm ein Bier an, dass er erst einmal ablehnt. Okay, die Situation ist anders als er dachte. Eigentlich wollte er nur mit Nina einen kleinen Schwatz halten. Schauen was in ihrem Leben so geht. Aber nun gut, jetzt ist es eben so. Auf den Rave geht er aber nicht mit. So kann er mit den anderen auch ein wenig sprechen und in einer Stunde oder so geht er. (Persönliche Risikosituation)

Alle sitzen um den Tisch und sprechen tatsächlich über alte Zeiten. Mike spricht über seinen Job, über seinen Alltag. Über seine Behandlung möchte er nicht wirklich sprechen, auch wenn die anderen ihn fragen wo er so lange geblieben ist. Ninas Handy vibriert, sie schaut auf das Display und grinst. “Das Kokstaxi ist da, bin gleich wieder da”.

Mike stockt der Atem. Was nun? Er fängt an zu schwitzen, er wird nervös, sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, sein Atem wird flacher. Gleich kommt Nina mit dem Koks hoch. Gleich wird auf dem Glastisch wie früher wieder die Lines aufgehackt. Gleich hat er die Möglichkeit den Alltagstrott ein mal loszulassen. Er kann ja nur ein kleine Line ziehen und trotzdem nach einer Stunde gehen. Das ist ein guter Deal. Diese eine Line ändert gar nichts. Nur ein bisschen geborgtes Wohlgefühl. Ein mal wieder kurz frei fühlen und die Langeweile aus dem Kopf blasen. (Keine Bewältigungsstrategie (in diesem Fall die Situation verlassen!) verfügbar).

Nina kommt wieder hoch und wedelt lächelnd mit dem Kokaintütchen. “Drei Gramm Leute, das wird ein schönes Wochenende”. Sie desinfiziert den Glastisch, hackt das Kokain sauber auf, nimmt ihren Ziehblock aus der Schublade und gibt jedem ein frisches Blatt. “Mike du auch?” Der Drops ist gelutscht. Mike sieht das Kokain, im steht der Schweiß auf der Stirn, die Gier ist fast überwältigend. Keine Chance, dass er sich noch umentscheidet. Nur eine Line, dann ist dieses Verlangen weg! (Verringerte Selbstwirksamkeit & Positive Erwartung an den Konsum) Er nimmt das Blatt von Nina, rollt es zusammen und zieht die erste Line. (Einnahme der Droge)

Was für ein Gefühl. Mike fühlt sich, als könnte er das erste mal seit Wochen wieder tief durchatmen. Der Stress fällt von ihm ab, er fühlt sich gut. Die Gespräche mit den anderen verändern sich. Sie werden schneller, lustiger, aufgeregter. (Kurzfristige Entlastung setzt ein)

Mit der zweiten Line beschließt greift Mike zum Bier. Ein bisschen Gegengewicht zum Kokain wäre schon gut. Mit der dritten Line beschließt er noch ein bisschen länger zu bleiben. Mit der vierten Line haben ihn die anderen überredet doch noch mit zum Rave zu gehen. Ein Mal einfach loslassen. Das wäre gut. (Fortsetzung des Konsums)

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