Das Wichtigste in Kürze

✓ Die Abstinenz ist die Voraussetzung um in Deutschland ein suchttherapeutisches Angebot wahrzunehmen. Dies sorgt dafür, dass viele Betroffene gar nicht wissen, dass es neben der Suchttherapie noch andere Angebote in der Suchthilfe gibt, die akzeptanzbasiert arbeiten.

✓ Ein Salutogenetischer Ansatz hilft den Genesungsprozess aus der Sucht in seinen Graustufen besser zu erkennen.

✓ Neben der Abstinenz gibt es viele Schritte, die als Genesungsentwicklung aus der Sucht gesehen werden können!

✓ Mehr erfahren? Die ausführliche Folge zum Thema „Genesung jenseits der Abstinenz“ kannst du hier auf deinem Lieblings-Player anhören! 🎧


Inhalt


Die Problematik der starken Fokussierung auf die Abstinenz

Im therapeutischen Suchthilfesystem steht die Abstinenz im Mittelpunkt. Sie gilt als Voraussetzung, um suchttherapeutische Hilfe überhaupt zu erhalten. Außerdem wird an der Aufrechterhaltung der Abstinenz der Erfolg der Intervention gemessen. Doch was passiert, wenn jemand keinen Wunsch nach vollständiger Abstinenz, aber sehr wohl einen Veränderungswunsch hat? Sind Fortschritte jenseits der Abstinenz weniger wert? Kann Suchttherapie wirklich nur auf der Grundlage von Abstinenz statt finden? Wenn ihr mich fragt, ist die Antwort auf all diese Fragen: NEIN!

Die rigide Abstinenzfokussierung verschärft zudem die Versorgungssituation und die Stigmatisierung von Betroffenen sogar auf unterschiedliche Weise:

  • Hürden in der Suchthilfe: Das Suchthilfesystem wird von vielen Betroffenen mit dem Abstinenzgrundsatz in Verbindung gebracht. Allerdings gibt es auch viele akzeptanzbasierte Angebote! Suchtberatung, Betreutes Einzelwohnen & Co. arbeiten in der Regel zieloffen! Leider ist das vielen nicht bewusst und sorgt dafür, dass sich erst sehr spät Hilfe gesucht wird.
  • Druck zur Abstinenz als Voraussetzung für Therapie: Ohne Abstinenz – keine Therapie! Dieser Grundsatz sorgt leider dafür, dass viele sich für keine Therapie entscheiden, obwohl sie evtl. ein Konsummuster aufweisen, bei der eine Therapie möglich wäre.
  • Verzerrtes Bild von Genesung: Wenn nur Abstinenz als Erfolg gilt, geraten andere positive Veränderungen aus dem Blickfeld, wie eine Reduzierung des Konsums oder ein bewussterer Umgang mit Substanzen.

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Ein salutogenetischer Ansatz bei der Sucht: Gesundheit als Prozess

Wenn wir die Abstinenz von ihrem Socke heben und sensibler für andere Genesungsprozesse werden wollen, braucht es zuerst einen neuen Blickwinkel.

Der Medizin liegt eine pathogenetische Sichtweise, die sich auf die Entstehung und Behandlung von Krankheiten konzentriert, zu Grunde. Das macht auch absolut Sinn, sorgt aber trotzdem für eine sehr einseitige Betrachtung. Die Salutogenese hingegen betrachtet Gesundheit als einen dynamischen Prozess. Statt zu fragen „Was macht krank?“ stellt sie die Frage „Was hält bzw. macht mich gesund?“

Schmidt-Semisch, Henning (2014): Überlegungen zu einer salutogenetisch orientierten Perspektive auf Drogenkonsum. In: Bettina Schmidt (Hg.): Akzeptierende Gesundheitsförderung. Unterstützung zwischen Einmischung und Vernachlässigung. Weinheim: Beltz (Grundlagentexte Gesundheitwissenschaften), S. 207–220.

Die salutogenetische Sichtweise bietet auf der einen Seite den Blickwinkel, dass Konsum von psychoaktiven Substanzen nicht nur ein Risikofaktor für die Sucht ist, sondern eben auch positive Seiten aufweist. Auf der anderen Seite lässt er mehr Graustufen in der Genesung zu.

Denn bei Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung ist die Antwort auf die Frage „Was macht mich krank?“ – „Der Drogenkonsum“. Die Konsequenz daraus ist logisch: aufhören!

Die Frage „Was macht mich gesund bzw. hält mich gesund?“ ist jedoch flexibler. Sie hat das Potenzial einen Prozess unterschiedlicher Maßnahmen anzustoßen, die Betroffenen helfen, sich immer mehr dem Gesundheitspol anzunähern.


Positive Veränderungen jenseits der Abstinenz

Ein Genesungsprozess kann sich in unterschiedlichen Gewändern zeigen und das auch jenseits der Abstinenz. Wenn eine Person z.B. vom intravenösen zu nasalem Konsum umsteigt, dann kann sich ihre physische Verfassung durchaus verbessern. Wer sich intensiv mit seinem Konsummustern auseinandersetzt, kann diese besser identifizieren und hinterfragen. Auch wenn auf den Konsum noch nicht verzichtet wird. Wer daran arbeitet punktabstinent zu wichtigen Verpflichtungen wie z.B. Arbeit oder Terminen zu sein, könnte damit seine finanzielle Situation sichern. All das sind Beispiele für Schritte gen des Gesundheitspols und diese sind in der Regel mit einem großen Einsatz der Betroffenen verbunden. Diese Entwicklungen als weniger wert anzusehen, nur weil eine Abstinenz (noch) nicht erreicht wurde, ist meiner Meinung nach eine starke Fehlleitung auf Grundlage eines rigiden Abstinenzansatzes. Wir sollten uns lieber fragen, wie diese Prozesse besser gefördert werden können und ab wann es sinnvoll ist, therapeutische Angebote auch außerhalb der Abstinenz bereitzustellen.


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