Das wichtigste in Kürze
✓ Es ist ein vollsynthetisches Opioid, das als µ-Opioid-Rezeptor-Vollagonist wirkt und rund 70–100-mal stärker als Morphin ist.
✓ Fentanyle bilden eine ganze Stoffgruppe, deren Vertreter sehr unterschiedlich stark wirken.
✓ Das größte Risiko ist die Atemdepression: Schon winzige Mengen können tödlich sein, besonders in Kombination mit Alkohol oder Benzodiazepinen.
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Inhalt
Was ist Fentanyl?
Fentanyl ist ein vollsynthetisches Opioid, also ein Wirkstoff, der chemisch komplett im Labor hergestellt wird und nicht mehr auf einem natürlichen Opiumalkaloid als Ausgangsstoff basiert. Vollsynthetische Opioide unterscheiden sich damit von natürlichen Opiaten (z. B. Morphin) und halbsynthetischen Derivaten (z. B. Heroin, Oxycodon), weil ihre Grundstruktur frei synthetisierbar ist und pharmakologisch sehr variabel gestaltet werden kann. Fentanyl selbst ist als starkes Schmerzmittel in der klinischen Praxis etabliert und ist in Form von transdermalen Pflastern, Tabletten, Lösungen und in einigen Fällen als Nasenspray verschreibungsfähig. Auf dem illegalen Markt taucht Fentanyl zudem als Pulver oder falsch deklarierte Tablette auf, häufig um Heroin zu imitieren oder als streckendes/verunreinigendes Mittel.
Wie wirkt Fentanyl?
Fentanyl wirkt als µ-Opioid-Rezeptor-Vollagonist: es bindet an die µ-Rezeptoren und löst dort eine vollständige Aktivierung aus, was starke Schmerzlinderung, Sedierung und dämpfende Effekte hervorruft. Charakteristisch für Fentanyl ist seine hohe Fettlöslichkeit, wodurch es sehr schnell die Blut-Hirn-Schranke passiert und rasch im Zentralnervensystem wirkt; gleichzeitig verteilt sich der Stoff umfangreich in Gewebedepots. Diese pharmakokinetischen Eigenschaften erklären sowohl den schnellen Wirkungseintritt als auch Phänomene wie wellenartige Wirkungserfahrungen und die klinisch relevante Möglichkeit einer Renarkotisierung nach Naloxon-Gabe, weil gespeicherte Mengen später wieder freigesetzt werden können.
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Warum sind Fentanyle so riskant?
Fentanyle bezeichnen nicht nur die Einzelsubstanz Fentanyl, sondern eine ganze Gruppe von strukturell verwandten Opioiden. Sie alle wirken am µ-Opioid-Rezeptor, unterscheiden sich jedoch stark in Potenz und Wirkdauer. Diese Spannbreite macht die Stoffgruppe für Konsumierende schwer einschätzbar. Carfentanil beispielsweise ist um ein Vielfaches potenter als Fentanyl selbst und bereits in Spuren tödlich, während Alfentanil schwächer wirkt, dafür aber schneller einsetzt.
Die größte Gefahr liegt daher in der extremen Potenz vieler Vertreter dieser Gruppe. Schon kleinste Mengen können eine lebensbedrohliche Atemdepression auslösen. Besonders riskant wird es, wenn Substanzen falsch deklariert sind oder als andere Drogen verkauft werden. Hinzu kommt, dass immer wieder neue Fentanyle speziell für den Schwarzmarkt synthetisiert werden, über die kaum wissenschaftliche Daten vorliegen. Dosierungen sind dadurch unberechenbar.
Zusätzlich verstärkt Mischkonsum mit anderen dämpfenden Substanzen wie Alkohol oder Benzodiazepinen das Risiko erheblich, da er die Wahrscheinlichkeit für eine tödliche Atemdepression weiter erhöht.
Wie häufig ist Fentanyl in Deutschland?
Anders als in den USA, wo seit Jahren von einer „Fentanyl-Krise“ gesprochen wird, ist die Lage in Deutschland weniger dramatisch (damit meine ich die Verbreitung!). Zwar sind Fentanyle auf dem Schwarzmarkt angekommen, doch bislang handelt es sich um vereinzelte Cluster statt um ein Massenphänomen. Das Bundesmodellprojekt RaFT, das 2023 in 17 Drogenkonsumräumen bundesweit 1.405 Heroinproben testete, fand in 3 bis 3,9 Prozent der Fälle Fentanyl oder andere synthetische Opioide. Auffällig war dabei eine regionale Häufung, insbesondere in Hamburg und Nordrhein-Westfalen.
Auch bei den Todesfällen ist die Zahl im internationalen Vergleich überschaubar. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 102 fentanylbezogene Todesfälle registriert, 2022 waren es 83. EU-weit meldete die Drogenagentur 2023 insgesamt 153 Todesfälle, davon 70 allein in Deutschland. Jedes dieser Schicksale ist tragisch, zeigt aber auch: Von einer Epidemie wie in den USA kann hierzulande nicht die Rede sein.
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Quellen für Artikel und Podcastfolge
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Bundesministerium für Gesundheit. (2025). Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen (RaFT) – Abschlussbericht (Stand: März 2025). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Abschlussbericht/Abschlussbericht_RaFT_bf.pdf 32299_en
European Union Drugs Agency. (2025). Heroin and other opioids – the current situation in Europe. In European Drug Report 2025. https://www.euda.europa.eu/publications/european-drug-report/2025_en 32299_en
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Stangeland, M., Dale, O., & Skulberg, A. K. (2025). Nitazenes: Review of comparative pharmacology and antagonist action. Clinical Toxicology, 63(6), 393–406. https://doi.org/10.1080/15563650.2025.2504133