Home » Psychoaktives Magazin » Suchttherapie » Die Neurobiologie der Sucht – Eine dauerhafte Erkrankung des Gehirns?

Das Wichtigste in Kürze

✓ Das Drei-Phasen-Modell der Sucht beschreibt den neurobiologischen Prozess der Suchtentstehung und erläutert die Veränderungen im Belohnungssystem.

✓ Im Entstehungsprozess der Sucht wird Liking (Genuss)immer mehr von Wanting (Verlangen) abgelöst und erschwert einen Konsumstopp und die Konsumkontrolle nachhaltig.

✓ Sucht wird häufig auch als dauerhafte Erkrankung des Gehirns bezeichnet. Dieser deterministische Ansatz unterschlägt jedoch die Neuroplastizität des Gehirns.

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Inhalt


Das Drei-Phasen-Modell der Sucht

Ein weit verbreitetes Modell zur Erklärung der neurobiologischen Grundlagen der Suchtentwicklung ist das Drei-Phasen-Modell. Es beschreibt den Entwicklungsprozess der Sucht und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen:

  1. Phase 1 – Binge/Intoxikation: In dieser Phase steht der Konsum und dessen Wirkung auf unser Belohnungssystem im Mittelpunkt. Drogen wie Alkohol, Kokain oder Heroin überfluten das Belohnungssystem mit Dopamin und verstärken damit das Verlangen nach Wiederholung. Dieses Verhalten wird zusätzlich konditioniert – bestimmte Orte, Emotionen oder Rituale werden mit dem Substanzkonsum verknüpft, sodass allein der Reiz eines bestimmten Umfelds bereits Dopamin ausschütten kann. In dieser Phase wird der Konsum in der Regel noch sehr positiv wahrgenommen.
  2. Phase 2 – Entzug/Negative Affekte: Mit wiederholtem Konsum kommt es zu einer Desensibilisierung des Belohnungssystems. Die natürliche Dopaminproduktion nimmt ab, sodass Betroffene ohne die Substanz verstärkt negative Gefühle wie Angst, Reizbarkeit oder Depressionen erleben. Gleichzeitig wird das Stresssystem des Körpers überaktiviert, insbesondere durch die verstärkte Ausschüttung von Cortisol. Dies verstärkt den Drang, wieder zu konsumieren, um diese unangenehmen Gefühle zu lindern.
  3. Phase 3 – Antizipation/Craving: In dieser Phase wird der Konsum nicht mehr durch den Genuss, sondern durch das Verlangen nach der Substanz bestimmt. Das Belohnungssystem und der präfrontale Kortex, der für Impulskontrolle und Entscheidungsfindung verantwortlich ist, sind in ihrer Funktion beeinträchtigt. Dadurch fällt es schwerer, den Konsum zu regulieren, selbst wenn die Person ihn als schädlich erkennt.

Dieses Modell zeigt, dass sich Sucht schrittweise entwickelt und mit der Zeit unser Belohnungsverhalten nachhaltig verändert. Dieses Modell kann zusätzlich durch die Theorie zu Wanting & Liking erweitert werden.


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Wanting & Liking – Warum Sucht wenig mit Genuss zu tun hat

Das „Wanting & Liking“-Modell erklärt die Unterschiede zwischen dem Erleben von Freude und dem Drang, etwas zu konsumieren und nimmt dabei die motivationale Ebene noch mal genauer unter die Lupe.

  • Liking: Dies beschreibt den tatsächlichen Genuss, den eine Substanz oder Handlung auslöst. Wenn jemand ein Stück Kuchen isst und den süßen Geschmack genießt, ist das „Liking“. Dieses Wohlgefühl wird durch bestimmte Gehirnareale vermittelt, die als ‚hedonic hotspots‘ bezeichnet werden. Diese Bereiche reagieren besonders stark auf Neurotransmitter wie Opioide und Endocannabinoide, die das Gehirn in Momenten des Genusses ausschüttet. Ein wichtiger Punkt ist, dass Liking direkt mit dem Erleben von Freude verknüpft ist, aber nicht unbedingt eine treibende Kraft hinter der Motivation darstellt, eine Handlung zu wiederholen. Es ist der reine Genussmoment. Dopamin spielt dabei noch keine Rolle.
  • Wanting: Dies ist das Verlangen, eine Handlung auszuführen – unabhängig davon, ob sie tatsächlich angenehm ist. Dieses Verlangen wird vor allem vom Dopaminsystem angetrieben. Dopamin sorgt dafür, dass euer Gehirn motiviert wird, eine Handlung auszuführen, die früher einmal eine Belohnung gebracht hat – selbst wenn diese Belohnung inzwischen deutlich schwächer oder gar nicht mehr angenehm ist. Das Besondere an Wanting ist, dass es stark durch externe Cues ausgelöst wird. Zum Beispiel kann der Geruch von frisch gebackenem Brot dazu führen, dass ihr plötzlich Hunger verspürt, obwohl ihr vorher gar nicht ans Essen gedacht habt.

In der Sucht verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Mechanismen. Während das „Liking“ mit der Zeit abnimmt, bleibt das „Wanting“ bestehen oder verstärkt sich sogar. Das führt dazu, dass Menschen weiterhin konsumieren, nicht weil sie es genießen, sondern weil ihr Gehirn den Drang danach erzeugt. Dies erklärt, warum auch langjährige Abstinenzler bei bestimmten Triggern ein starkes Verlangen verspüren können.


Ist Sucht eine dauerhafte Erkrankung des Gehirns?

Die Frage, ob Sucht eine dauerhafte Gehirnerkrankung ist, wird in Wissenschaft und Therapie kontrovers diskutiert. Die deterministische Sichtweise besagt, dass Sucht das Gehirn dauerhaft verändert und Betroffene ein Leben lang gefährdet sind, wieder in alte Muster zurückzufallen (siehe auch diesen Artikel zum Suchtgedächtnis). Gehirnscans zeigen, dass auch nach Jahren der Abstinenz bestimmte Reize eine erhöhte Dopaminreaktion auslösen können. Allerdings nehmen diese mit der Zeit ab!

Meiner Meinung nach greift diese Sichtweise zu kurz. Das Gehirn ist kein statisches System – es ist neuroplastisch und kann sich durch Erfahrungen und Umweltbedingungen verändern. Viele Menschen, die eine Sucht überwinden, tun dies nicht durch biologische Interventionen, sondern durch psychologische und soziale Veränderungen. Diese beinhalten neue Routinen, unterstützende soziale Netzwerke und den Aufbau alternativer Belohnungssysteme. Diese Erfahrungen haben Auswirkungen auf unsere neuronalen Strukturen!

Die Forschung zu Menschen, die ihre Sucht auf eine nicht-abstinente Art und Weise überwunden haben, ist leider nur begrenzt verfügbar. Selbstheilungsstudien und Studien zum Kontrollierten Konsum zeigen jedoch auf, dass Menschen zu einem massiv reduzierten Konsum zurückkehren.


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Quellen für den Blog & die Podcastfolge:

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King, A. C., Fischer, A. M., Cursio, J. F., Didier, N. A., Lee, Z., & Fridberg, D. J. (2025). Real-time assessment of alcohol reward, stimulation, and negative affect in individuals with and without alcohol use disorder and depressive disorders. American Journal of Psychiatry, 182(2), 187–197. https://doi.org/10.1176/appi.ajp.20240069

Koob, G. F., & Volkow, N. D. (2016). Neurobiology of addiction: A neurocircuitry analysis. Lancet Psychiatry, 3(8), 760–773. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(16)00104-8​:contentReference[oaicite:1]{index=1}.

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Wiers, C. E., Cabrera, E., Skarda, E., Volkow, N. D., & Wang, G.-J. (2016). PET imaging for addiction medicine: From neural mechanisms to clinical considerations. In Progress in Brain Research (Vol. 224, pp. 175–192). Elsevier. https://doi.org/10.1016/bs.pbr.2015.07.016​:contentReference[oaicite:3]{index=3}.

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